Im ausführlichen Bericht kommt auch der bekannte amerikanische Klimaforscher Ray Bradley zu Wort, der die Schweizer Studie in einen internationalen Kontext stellt. Nur wenige Forscher hätten bisher detaillierte Untersuchungen von Pollen in Eiskernen gemacht, erklärt er. «Die meisten Eiskerne stammen von den Polen und sind weit weg von vielfältigen Vegetationsgebieten. Diese Studien waren ziemlich langweilig und haben nicht viel aufgezeigt.» Ganz im Unterschied zur Arbeit von Sandra Brügger und ihren Kollegen im interdisziplinären «Paleo fires»-Projekt.
Von Laufsteg und Baustelle zur Klimaforschung
Sandra Brüggers Familie übrigens hat ihren grossen Auftritt im Weltblatt mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen – allzu oft hat sie ihre Tochter und Schwester schon im Rampenlicht gesehen. Nicht als Wissenschafterin zwar, sondern in ihrem früheren Leben als erfolgreiches Model. Nach dem Gymnasium lebte die in Laupen bei Bern aufgewachsene junge Frau ein Jahr lang in Mailand und stand tagtäglich auf dem Laufsteg und vor der Kamera. Später finanzierte sie sich mit Modelaufträgen das Studium – vor allem den Winter über in Kapstadt. «Speziell Spass gemacht hat mir das nicht», sagt sie, «und ich könnte mir heute nicht mehr vorstellen, den ganzen Tag rumzusitzen und übers Schminken zu sprechen. Es war einfach eine Möglichkeit, zu reisen und Geld zu verdienen.» Als sie mit der Doktorarbeit anfing, war mit dem Modeln deshalb Schluss.
Zwischen Matur und Studium legte die heutige Paleoökologin neben ihrem Mailand-Abstecher noch ein zweites Zwischenjahr ein. Sie arbeitete als Handlangerin mit Maurern und Sanitärinstallateuren auf dem Bau. Als Teenager habe sie zeigen wollen, dass eine Frau jeden Job machen könne - und dies auch tun müsse.
An Willen also scheint es Sandra Brügger nie gefehlt zu haben. Und manchmal auch nicht an einer rebellischen Ader. Beim Mittagessen in der Institutsküche erzählt sie von einem Methodenstreit. Er habe sie derart geärgert, dass sie hieb- und stichfest nachwiesen wollte, warum das Verfahren, das sie zur Aufbereitung von im Eis eingeschlossenen Pollen entwickelt hat, anderen Techniken überlegen sei. In der wissenschaftlichen Publikation, die sie dazu verfasst hat, geht es vereinfacht gesagt darum, wie sich Dank der «Brugger Method» die Menge des Eises deutlich reduzieren lässt, die nötig ist, um eine statistisch aussagekräftige Anzahl von Pollen zu extrahieren. Hintergrund: Probenmaterial aus Eisbohrkernen ist selten und unter Klimaforschern heiss begehrt. Der in einem Fachjournal erschienene Artikel sorgte für einiges Aufsehen und wurde derart häufig heruntergeladen, dass ihr der Präsident der International Glaciological Society schrieb, wie sehr er sich über ihren Erfolg als junge Forscherin freue.
Und nun, wie geht es weiter im facettenreichen Leben der Sandra Brügger? «Ich könnte das noch ewig weitermachen», sagt sie beim Rundgang durch die Büro- und Laborräume, in denen sie die letzten vier Jahre verbracht hat, «diese Arbeit macht mich glücklich.» Kein Wunder also, will es die Pollenspezialistin mit einer akademischen Karriere versuchen. Nächstes Ziel: ein Postdoc-Aufenthalt in den USA.
(April 2019)