Soweit die klassische Vorgehensweise. Doch der innovative Nachwuchsforscher Heiri will bei der Analyse der Mikrofossilien neue Wege gehen: Er bestimmt nicht einfach die unterschiedlichen Chironomiden-Arten – Unterscheidungsmerkmale sind zum Beispiel Anzahl und Position ihrer Zähne –, sondern führt chemische Untersuchungen an den fossilen Skeletten durch. "Unser neuer Ansatz besteht darin, Isotope direkt in den Skelettteilen zu messen", erklärt Oliver Heiri, "mit Sauerstoff ist uns das schon gelungen, jetzt versuchen wir es auch mit Kohlenstoffisotopen." Interessant sind diese Messungen vor allem, weil sich so indirekt Informationen über den Methanhaushalt von Seen in der Vergangenheit gewinnen lassen. Seen sind wichtige Quellen des Treibhausgases Methan und die Rekonstruktion ihrer sich verändernden Aktivität für die Klimaforschung von grosser Bedeutung. "Wir wollen herausfinden, ob sich bei Veränderungen des Klimas in der Vergangenheit auch die Methanproduktion verändert hat."
Die Isotopenmessung hat sich in der Klimarekonstruktion seit langem als wichtige Methode bewährt. Zum Einsatz kam sie zum Beispiel bei der Untersuchung von Eisbohrkernen. Aus in Eis eingeschlossenen Luftblasen können über diesen Umweg vergangene Temperaturen ermittelt werden. Weltweit führend sind dabei Forscher der Abteilung Klima- und Umweltphysik am Physikalischen Institut der Universität Bern, einem Teil des Oeschger-Zentrums. Anhand von Eiskernen aus der Antarktis haben die Klimaphysiker Temperaturen sowie CO2- und Methan-Konzentrationen der vergangen 800'000 Jahre rekonstruiert.
Oeschger-Zentrum zieht Spitzenforschung an
Oliver Heiri hat sich nicht zuletzt wegen dieser Expertise bei der Isotopenmessung dafür entschieden, sein ERC-Projekt an der Universität Bern anzusiedeln. "Die Erfahrungen in Bern mit diesen Messungen aus der Eisbohrkernanalyse wird unsere eigene Messmethode verbessern und hoffentlich auf eine ganz neue Ebene bringen." Der vor kurzem aus Utrecht zugezogene Forscher – er hat übrigens bereits in Bern studiert und doktoriert und setze seine wissenschaftliche Karriere danach in Norwegen und den Niederlanden fort – arbeitet am Institut für Pflanzenwissenschaften. Zur Zeit baut er seine Gruppe mit zwei Doktoranden und einem PostDoc auf, und noch diesen Sommer startet die Feldarbeit mit Sedimentbohrungen in Seen in Schweden, Finnland und der Schweiz. Anhand dieser Proben soll die neuartige Isotopenmethode verfeinert werden. Danach folgt das Kernstück des Projekts: Die Rekonstruktion des Methanhaushalts im Rotsee bei Luzern für die Zeit zwischen 15'000 und 11'000 vor heute. Dieser Zeitraum entspricht dem Ende der letzten Eiszeit, eine für das Verständnis des Klimawandels besonders interessante Phase.
Das Forschungsvorhaben des jungen Paläoökologen tönt hochinteressant und hat offensichtlich auch die Auswahlgremien des Europäischen Forschungsrats überzeugt. Doch wie sicher ist, dass die Methode, die mit Eiskernen funktioniert auch bei Zuckmücken zum Erfolg führt? "Eine Garantie gibt es nicht, dass ist auch meinen Geldgebern klar", sagt Heiri, "doch schliesslich werden die ERC-Förderungsbeiträge nach der Devise 'High risk – high gain' vergeben."
Ob das Projekt "Rekonstruktion von Methanflüssen aus Seen: Entwicklung und Anwendung einer neuen Methode" zu einem wissenschaftlichen Durchbruch führt oder ob es scheitert – wer so oder so von Oliver Heiri's neuen Ideen profitiert, ist das Oeschger-Zentrum: In der Person des aus den Niederlanden zurückgekehrten Oliver Heiri hat ihm sein ausgezeichneter Ruf und die fächerübergreifende Zusammenarbeit einen bereichernden Neuzuzug beschert.
(2010)