Dass sich Claus Beisbart als Philosoph unter Naturwissenschaftlern zuhause fühlt, hat mit seinem eigenen Werdegang zu tun. Er hat in München und Tübingen nicht nur Philosophie studiert, sondern auch Physik und Mathematik. Sein Diplom machte er als Physiker, und er promovierte zum Dr. rer. nat. Danach forschte er als PostDoc über Kosmologie in Oxford und schrieb - wieder zurück in München - eine zweite Dissertation, diesmal in Philosophie. Titel: “Handeln begründen. Motivation, Rationalität, Normativität". Nach diversen Stationen der akademischen Wanderschaft zwischen Dortmund, Reykjavik und Pittsburgh wurde er 2012 zum ausserordentlichen Professor für Wissenschaftsphilosophie an die Universität Bern berufen. Für seine Habilitation hatte sich Beisbart übrigens unter anderem mit der Validierung von Computersimulationen befasst. „Das ist gerade für die Klimawissenschaften ein wichtiges Thema, denn die Resultate haben hier grosse Implikationen für die Politik und müssen daher glaubwürdig oder valide sein.“
Bald kam es in Bern zu ersten Kontakten mit Mitgliedern des Oeschger-Zentrums, dem Claus Beisbart inzwischen als sogenannter Adjunct researcher angehört. So organisierte er 2013 zusammen mit der Gruppe für Erdsystemmodelierung: Atmosphären- und Ozeandynamik eine internationale Konferenz über Modelle und Wahrscheinlichkeiten in Naturwissenschaften und Philosophie. Gegenwärtig betreut Beisbart im Rahmen eines SNF-Projekts unter anderem eine Dissertation im Bereich der Klimaethik. Sie befasst sich mit dem Vorsorgeprinzip und will den Rahmen abstecken, in dem dieses angemessen und sinnvoll als Grundlage für klimapolitisches Handeln dienen kann.
Theorie, Experiment, Modell und Simulation
Es sind aber nicht bloss Aktualität und politische Relevanz, die Beisbarts Nähe zur Klimaforschung erklären. Als Wissenschaftsphilosoph beschäftigt er sich damit, wie Wissen generiert wird, und untersucht entsprechende Methoden. Mit der Rolle von Theorie und Experiment, so erklärt er, befasse sich seine Disziplin schon lange, das Interesse für Computermodelle und Simulationen hingegen, die in der Klimaforschung eine ausgesprochen grossen Stellenwert hätten, sei neu. Die Frage, wie ein Modell einen natürlichen Vorgang darstellt, ist nicht trivial, besonders wenn es auf unsicheren oder gar falschen Annahmen aufbaut. Aber auch den Umgang mit Messdaten, so der Philosoph, müsse kritisch diskutiert werden. „Was wir Daten nennen, ist oft nicht einfach durch die Natur gegeben, sondern durch Menschenhand aufbereitet. Dabei gehen viele Modellannahmen ein. . Der epistemische Unterschied zur Simulation ist da kaum mehr zu erkennen “
Das Interesse, das Philosophie und Klimaforschung aneinander nehmen, so erlebt es Claus Beisbart, ist durchaus gegenseitig. Gründe sieht er dafür mehrere: Zum einen fehle es Naturwissenschaftlern oft an „Reflexionsspielräumen“. Gelegenheit zum Nachdenken etwa darüber, wie gross die Aussagekraft ihrer Modelle tatsächlich sei. Zum andern beschäftigten die Forschenden Fragen der Klimaethik, denn sie realisierten, dass ihre Ergebnisse - obwohl politisch hochrelevant - nicht zu wirksamen Massnahmen zum Schutz des Klimas führten. „Die Philosophie bieten den Rahmen, in dem man über solche Fragen nachdenken kann.“
(2015)
Philosophie für Klimastudenten
Der Philosoph ist nicht nur am Dialog mit gestandenen Forschern interessiert, sondern will auch Studierende unterschiedlicher Fächer ins Gespräch bringen. Bereits zum zweiten Mal bietet er 2015 mit anderen Forschenden ein Seminar unter dem Titel „Philosophische Aspekte beim Verständnis des Globalen Wandels“an. Das Seminarwurde gemeinsam mit Klimatologen konzipiert, und es findet in Zusammenarbeit zwischen der Universität Bern und der ETH Zürich statt. Das Interesse der angesprochenen Klimamaster-Studenten und Doktorierenden, so Beisbart, sei „sehr gross“. Diskutiert werden Fragen an der Schnittstelle zwischen Forschung und Gesellschaft. Zum Beispiel: „Lassen sich die Unsicherheiten der Klimamodellierung angemessen in Wahrscheinlichkeiten ausdrücken?“ Oder: „Können die Ergebnisse vonKlimasimulationen tatsächlich zur Berechnung von Erwartungsnutzen dienen?“ Ganz grundsätzliche Fragestellungen also, die beim Schreiben von Klimamaster- oder Doktorarbeiten kaum je beleuchtet werden.
Spannend sind diese Diskussionen nicht etwa nur für die jungen Klimawissenschaftler, sondern auch für den Philosophen. „Ich will die Perspektive der Forscher einnehmen können, mit denen ich mich als Wissenschaftsphilosoph befasse. Ich will verstehen, wie sie sich selbst sehen und wie sie sich ausdrücken.“
Und noch lieber möchte Claus Beisbart mitverfolgen, wie Modellierer ihre Werkzeuge weiterentwickeln. Worauf achten sie zum Beispiel, wenn sie Veränderungen an ihren Modellen vornehmen? In einer Fallstudie mit einer Klimaforschungsgruppe, so eine Projektidee, möchte er mehr über die „Dynamik der Modellbildung“ herausfinden. An Stoff für befruchtende Debatten zwischen Philosophie und Naturwissenschaft wird es im OCCR also auch künftig nicht fehlen.