Diese Frau traut sich was. Als die Wirtschaftsklasse von Chantal Hari im Gymnasium ein Mini-Unternehmen gründete, übernahm sie ohne zu zögern die Funktion des CEO. «Ich bin generell sehr organisiert», sagt sie, «und habe deshalb auch manchmal gern das Sagen.» Die Geschäftsidee des Probe-Startups: Handyhüllen herstellen, die Platz für diverse Karten bieten. 2013 durchaus eine innovative Idee.
Beflügelt von dieser Erfahrung beschloss Chantal Hari, Betriebswirtschaft zu studieren. Nebenfach Geschichte. Bald einmal aber verschoben sich die Interessen der jungen Bernerin und aus dem Neben- wurde das Hauptfach. Und ihre Begeisterung wuchs, als sie die Umwelt- und Klimageschichte entdeckte. «Mich fasziniert es, grosse Mengen von Daten zu erfassen und kritisch zu hinterfragen. In der Geschichte mit Blick auf die historischen Quellen.»
Vulkanausbrüche in Berner Messdaten nachgewiesen
Schon in ihrer Bachelorarbeit befasste sich Chantal Hari mit den Aufzeichnungen eines Berner Hobbymeteorologen aus dem 19. Jahrhundert. In ihrer Masterarbeit dann vertiefte sie sich in die Messungen und Beobachtungen, die der Theologe Samuel Studer während insgesamt 48 Jahren zu Papier gebracht hatte. So nebenbei brachte sie sich auch noch die Programmiersprache R bei und verschaffte sich so das nötige statistische Rüstzeug. Mit Hilfe von statistischen Analysen konnte sie unter anderem zeigen, dass sich in diesen Datenreihen zwei grosse Vulkanereignisse nachweisen lassen: Die «Unknown Eruption»1808 und jener des Tambora 1815 in Indonesien.
Ihren Masterabschluss machte Chantal Hari aber nicht etwa in Geschichte, sondern in Klimawissenschaften. «Als ich mir den Klima Master angeschaut habe», sagt sie, «wusste ich, dass die Interdisziplinarität, die ihn auszeichnet, genau mein Ding ist.» Kommt dazu, dass sich die Interessen der Studentin noch einmal verschoben hatten: Sie wandte sich im Masterprogramm voller Elan den Naturwissenschaften zu und belegte vor allem Kurse in Statistik und Physik. Dass ihr manche Dozenten ihrer fehlenden Vorbildung wegen davon abrieten, bremste sie nicht. «Ich bekam immer wieder zu hören diese Vorlesungen seien extrem schwierig, ich solle mir das besser noch einmal überlegen. Das motivierte mich erst recht.» Übrigens: Auch ihre Herkunft hat Chantals Interesse für die Klimawissenschaften geweckt. «Ich stamme ursprünglich aus dem Berner Oberland und verbringe viel Zeit in den Bergen. Da erlebe ich die Auswirkungen des Klimawandels hautnah.»
Breiter Horizont im Studium
Den Spurwechsel von den Geistes- zu den Naturwissenschaften habe sie nur Dank des Klima Masters geschafft, sagt sie rückblickend. «Während eines Masterstudiums derart die Richtung wechseln zu können, ist ziemlich einzigartig.» Bereut sie es heute, nicht gleich Physik studiert zu haben? «Nein, ich musste all diese Wege gehen, um herauszufinden, was ich wirklich wollte. Das gehörte für mich einfach dazu.»
Soeben hat die Klimawissenschafterin ein Doktorat begonnen und schlägt dabei – wen wundert’s – gleich noch einmal einen Schwenk ein: Sie befasst sich neuerdings mit Klimamodellierungen. In ihrem PhD Projekt an der Wyss Academy for Nature an der Universität Bern geht es, vereinfacht gesagt, darum, wie sich der Klimawandel auf die Biodiversität auswirkt. Worauf ihre Arbeit genau abzielt, ist noch nicht ganz klar. Ein möglicher Ansatz ist die Modellierung des Aussterberisikos verschiedener Spezies unter verschiedenen Klimaszenarien.
Und wie soll es weitergehen mit der Laufbahn von Chantal Hari? Zieht es sie vielleicht doch noch in die Wirtschaft? «Im Moment sehe ich mich voll und ganz in der Forschung und setze auf eine akademische Karriere.» Doch wer weiss schon was die Zukunft bringt. Erst recht für diese unerschrockenen junge Frau aus dem Berner Oberland.
(Februar 2022)