Die geschickte Netzwerkerin

Sie interessierte sich früh für hydrologische Modellierungen und hat eine steile Karriere gemacht: Bettina Schaefli ist seit 2019 ordentliche Professorin an der Universität Bern und leitet die OCCR-Gruppe Hydrologie. Zudem ist sie Präsidentin der Schweizerischen Hydrologischen Kommission und Mitglied des Nationalen Forschungsrats des SNF.

Ihre Doktorarbeit aus dem Jahr 2005 ist so aktuell wie nie. Bettina Schaefli promovierte mit einer Untersuchung zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserkraftproduktion – die erste modellbasierte Studie in diesem Bereich. Ihre Dissertation an der EPFL in Lausanne prägt Bettina Schaeflis akademische Karriere bis heute, und die Studie hatte grossen Einfluss auf die hydrologische Forschung in der Schweiz. Seither hat nicht nur das Thema an Dringlichkeit gewonnen, zurzeit verändern sich auch die Methoden zur Modellierung der Klimafolgen. «Als ich zu modellieren anfing», erzählt die Hydrologie Professorin, «gab es bereits erste Ansätze zu rein datenbasierten Modellierungen, doch die mathematische Theorie dahinter war nicht einfach umzusetzen.» Durch KI-Sprachsysteme, Machine Learing und Open Source Programmierung habe sich die Ausgangslage für Modellierinnen und Modellierer grundsätzlich verändert. «Wir kommen gerade in eine Phase, in der alle Forschenden einfach neue datenbasierte Modelle erstellenkönnen.» In ihrer Disziplin, so Bettina Schaefli, öffne sich zurzeit «eine neue Werkzeugkiste».

Geschäftsgeheimnis Wasserdaten

Allen methodischen Fortschritten zum Trotz bleibt in der Hydrologie ein grosses Manko bestehen: «Uns limitiert, dass es nicht genügend Messdaten gibt.» Dieser Mangel an Daten hat verschiedene Ursachen. In der Wissenschaft fehlen die finanziellen Mittel, um etwa ein ganzes Einzugsgebiet eines Bergbaches mit Messsensoren auszustatten. Und bei der Wasserkraftproduktion werden aus Sicht der Forschung generell viel zu wenig Daten erhoben. Das hat Folgen. Zum Beispiel in der politischen Diskussion darüber, ob man die Restwassermengen senken solle, um zusätzlichen Strom aus Wasserkraft zu produzieren. Bettina Schaefli bestreitet solche Forderungen entschieden. Aus ökologischer Sicht seien die heutigen Restwassermengen ein Minimum, argumentiert sie, und die potenziellen Produktionssteigerungen beschränkten sich auf wenige Prozente. Ganz genau lasse sich das allerdings nicht sagen: «Die Wasserkraftproduzenten wissen meist gar nicht genau wie viel Wasser ihr Einzugsgebiet produziert.» Und die tatsächlich erhobenen Daten werden von den Energiekonzernen als Geschäftsgeheimnis betrachtet und stehen der Wissenschaft nicht einfach so zur Verfügung.

Nicht nur bei der Verfügbarkeit von Wasser tappt die Schweiz noch teilweise im Dunkeln, beim Verbrauch sieht es nicht besser aus. Nur wenige Kantone wissen beispielsweise, wieviel Wasser die Landwirtschaft  zum Bewässern verbraucht. In dieser Unwissenheit steht die Schweiz nicht allein da. «In Europa messen nur Länder den Verbrauch, die schon lange unter Wassermangel leiden», sagt Hydrologin Schaefli. Eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass Trockenheit zu den am stärksten verbreiteten Folgen des Klimawandels zählt.

Erfolg dank Engagement in der EGU

Doch auch manche Forschende gehen nicht immer grosszügig mit ihren Informationen um. Im Gegensatz zur Klimaforschungs-Community finde in der hydrologischen Modellierung noch relativ wenig Zusammenarbeit statt, sagt Bettina Schaefli: «Jede Gruppe arbeitet mit ihren eigenen Modellen, einfach öffentlich zugängliche Datensätze gibt es erst seit kurzem.» Auch dieser Umstand erstaunt Aussenstehende.

Aber insgesamt hat Bettina Schaefli ihre Forschungsgemeinschaft durchaus als wohlwollend erlebt, und zwar in der European Geoscience Union EGU. Bereits als junge Forscherin nahm sie nicht nur an Konferenzen teil, sondern half selbst beim Organisieren von EGU-Veranstaltungen mit und knüpfte so an einem internationalen Netzwerk. «Ohne das Engagement in der EGU», sagt sie rückblickend, «hätte ich meine wissenschaftliche Karriere nie aufbauen können.» Konkret: Aus den in der EGU geschlossenen Kontakten, wo sie vor zwanzig Jahren noch eine der wenigen Frauen war, ergaben sich Stellenangebote für die wissenschaftlichen Wanderjahre. Später leitete Bettina Schaefli die Unterabteilung Einzugsgebietshydrologie der EGU und war lange Jahre Editorin der Zeitschrift Hydrology and Earth System Sciences.

Flirten bei der Posterpräsentation

Heute beschränkt sich ihr Einsatz für die EGU auf deren Hydrologie-Blog, dessen leitende Editorin sie ist. In ihren eigenen Blog-Beiträgen greift sie Themen von allgemeinem wissenschaftlichem Interesse auf, wie die Rolle von gesellschaftlich engagierten Forschenden oder die Situation der Frauen im Wissenschaftsbetrieb – ein Beitrag, so erzählt sie, den viele männliche Kollegen nicht so toll gefunden hätten. Bettina Schaefli schrieb darüber, wie ihre eigene Karriere von sexistischen Sprüchen und Witzen gesäumt war und wie Doktorandinnen heute darüber klagten, dass junge Kollegen bei Posterpräsentationen kein Interesse an einer wissenschaftlichen Diskussion hätten, sondern nur an einem Date.

Sie habe Ihre wissenschaftliche Karriere nicht besonders zielstrebig verfolgt, erzählt Bettina Schaefli. Fast könnte man den Eindruck erhalten, die Dinge hätten sich eher so ergeben – auch beim Entscheid, eine Familie zu gründen. Beim ersten Kind seien dessen Betreuung und die Arbeit an der EPFL problemlos nebeneinander hergelaufen. Weshalb die Familie mittlerweile drei Kinder zählt. Die Mühen dieser Mehrfachbelastung lässt sich die Professorin, die in einem 80-Prozent-Pensum arbeitet, kaum anmerken. «Es darf im gut organisierten Alltag einfach nie etwas schieflaufen», sagt sie, «dann ist Karriere und Familie machbar.»

(November 2024)