Wie ein Archäologe die Klimaforschung lieben lernte

Albert Hafner beschäftigte sich zwanzig Jahre lang mit Ausgrabungen unter Wasser, in Mooren und Eis . An seiner zweiten Karriere als Archäologieprofessor reizt ihn vor allem die Forschung - dabei spannt er nicht zuletzt mit Klimaspezialisten zusammen.

Die meisten Archäologen träumen von Keramikscherben, Albert Hafner aber hat ein Faible für Holzobjekte. In seinem Büro hängt zum Beispiel ein aus Zweigen geflochtener, tellergrosser Ring. Er stammt aus einem Stall im Simmental, wo man mit derartigem Flechtwerk bis vor nicht allzu langem Zaunpfosten zusammenband. Das Erstaunliche an diesem Objekt: Auf dem Schnidejoch im Berner Oberland wurde ein praktisch identischer 5000 Jahre alter Holzring gefunden. "Wir haben es hier mit einer mehrere Tausend Jahre alten Tradition des Zaunbaus mit der selben Methode zu tun", schwärmt der Professor für Prähistorische Archäologie.

Albert Hafner begeistert sich nicht nur für die Machart von Holzwerkzeugen, Gegenstände aus Holz sind für ihn als Archäologen auch aus einem ganz praktischen Grund interessant: Sie lassen sich mit Hilfe der Dendrochronologie, einer Methode, die auf den Jahrringen im Holz aufbaut, sehr genau datieren. Voraussetzung dafür sind allerdings möglichst intakte Holzfunde; und die gibt es nur, wenn Objekte durch glückliche Umstände von der Natur konserviert wurden. Zum Beispiel unter Wasser in Sedimentablagerungen oder in Gletschereis. Genau mit diesen Themen hat sich Hafner in den vergangen 20 Jahren beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern befasst, wo er zuletzt Chef der Unterwasser- und Feuchtbodenarchäologie war. Sein Arbeitsplatz: Das Von-Rütte Gut am Bielersee mit angeschlossener Tauchbasis und dendrochronologischem Labor, an einem der wichtigsten Fundstätten prähistorischer Pfahlbauten in ganz Europa gelegen.

Zum ersten Mal mit dem Oeschger-Zentrum in Kontakt gekommen ist der Archäologe im Zusammenhang mit den spektakulären Funden vom Schnidejoch, dem auf 2756 Meter über Meer gelegenen Übergang zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis. Insgesamt 900 Objekte wurden hier vom schmelzenden Gletscher freigegeben. Das Interesse an diesen Eisfunden war nicht nur unter Archäologen gross, sondern auch bei den Klimaforschern des OCCR. Es gelang ihnen damit, die bis anhin präziseste Rekonstruktion von Gletscherschwankungen im Alpenraum in prähistorischer Zeit zu erstellen. Unter dem Titel "Ötzi, Schnidi and the Reindeer Hunters: Ice Patch Archaeology and Holocene Climate Change" organisierten die beiden Disziplinen 2008 schliesslich gemeinsam ein wissenschaftliches Symposium - das weltweit erste seiner Art.

Inzwischen ist Albert Hafner selbst Teil des Oeschger-Zentrums. Er wurde 2012 zum Ordinarius für Prähistorische Archäologie an der Universität Bern gewählt und ist aktuell Direktor des Instituts für Archäologische Wissenschaften sowie Adjunct Researcher des OCCR.

Wie sich spätestens an der gemeinsamen Tagung zeigte, verbindet Archäologie und Klimaforschung vieles. Denn: Das klimatische Auf und Ab prägt die Menschen, und andererseits wirken sich die menschlichen Aktivitäten auch auf das Klima aus. "Die frühen Einflüsse der Menschen auf die Umwelt sind nicht zu unterschätzen", sagt Albert Hafner, "solange sie nur jagten, waren die Auswirkungen klein, aber der Einfluss nahm zu, als die Menschen zu Ackerbauern wurden, den Wald niederbrannten und die Landschaft weit öffneten." Umgekehrt sei dem Einfluss des Klimas auf geschichtliche Entwicklungen wie zum Beispiel Migrationsbewegungen bisher zu wenig Beachtung geschenkt worden.

Im kleinen Massstab allerdings lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschen in der Vergangenheit durchaus nachvollziehen. Die Seeufersiedlungen an den Seen des Mittellandes beispielsweise fielen immer wieder dem steigenden Wasserspiegel zum Opfer ? und stellen heute, da sie so vor dem Zerfall geschützt waren, archäologisch wertvolle Fundstellen dar. Grund für die periodischen Schwankungen des Seeniveaus, so Hafners These, waren möglicherweise klimatische Veränderungen.

Archäologie und Klimaforschung ergänzen sich aber nicht nur inhaltlich. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der OCCR-Gruppe für Terrestrische Paläoökologie will Albert Hafner das methodische Knowhow seiner Kollegen mit einbeziehen. "Seesedimente speichern sowohl Umwelt- wie Kulturinformationen", erklärt er. "Das wollen wir uns zu Nutzen machen, um die Kulturentwicklung im Holozän besser zu verstehen. Mit unseren archäologischen Methoden können wir das nicht leisten."

Konkret geht es um Informationen aus dem Burgäschi- und dem Moosee. Rund um diese kleinen Seen in der Nähe von Bern gibt es zwar ein halbes Dutzend archäologische Fundstellen, doch sie decken die Besiedlung während der vergangen 10'000 Jahre nur lückenhaft ab. Durch die paläoökologische Analyse von Seesedimenten hingegen, lässt sich der Einfluss des Menschen über das ganze Holozän hinweg erfassen. In den geschichteten Ablagerungen von Bohrkernen finden sich zahlreiche Zeugen von menschlichen Aktivitäten. Zum Beispiel von Brandrodung oder von der Erosion, welche die Menschen verursachten, die in den Dörfern rund um die Seen lebten.

Durch die Kombination ihrer Methoden wollen Albert Hafner und der Paläoökologe Willy Tinner nicht nur belegen, wann die ersten Siedlungen entstanden sind, sondern auch herausfinden, ob sie bei ihren Kontakten nach Osten oder Westen ausgerichtet waren. Schon in prähistorischer Zeit richteten sich die Menschen im heutigen Schweizer Mittelland nämlich nach unterschiedlichen Kulturräumen aus. Die Wurzeln des Röstigrabens reichen offensichtlich weit zurück.

(2013)