Thomas Stocker, Sie haben an der ETH Zürich Physik studiert. Wie sind Sie zum Klimaforscher geworden?
Thomas Stocker: Ich habe mit Physik begonnen, obwohl ich mich für vieles anderes auch interessierte. 1980 hatte ich dann als Student die Gelegenheit, für zwei Monate im Institut für Schnee- und Lawinenforschung auf dem Weissfluhjoch zu arbeiten, wo ich Simulationen zur Stabilität der Schneedecke machte. In dieser Zeit wurde mir klar, dass mich das Erdsystem faszinierte. Per Zufall erfuhr ich von einem neuen Studiengang an der ETH, der sich Umweltphysik nannte und den ich dann absolvierte. Mein Diplom und mein Doktorat waren dann hochinteressant, aber extrem theoretisch: es ging um Wellenbewegungen in rotierenden Kanälen und Seen. Nach einem kurzem Postdoc noch einmal in diesem Gebiet in London wurde mir das Thema etwas zu eng, ich wollte den Horizont öffnen. Da ergab sich die Gelegenheit, an die McGill University nach Montreal zu gehen, wo genau in dieser Zeit eine Klimaforschungsgruppe eröffnet wurde.
War Ihnen da schon klar, dass Sie sich diesem Forschungszweig widmen wollten?
Fasziniert hat mich die Klimaforschung von Anfang an, aber genau wie heute hangelte man sich auch damals von einem Postdoc zum nächsten und wusste nicht, ob man in der Forschung eine längerfristige Perspektive hat. Ich hatte deshalb an der ETH während des Doktorats das Gymnasiallehrerpatent in Physik gemacht und hatte also einen Plan B, den ich aber nie aktivieren musste. Dann lernte ich bei der ersten ProClim-Konferenz 1990 in Locarno einen prominenten Forscher aus den USA kennen, Wally Broecker. Wir kamen ins Gespräch und er fragte mich, ob ich zu ihm ans Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in der Nähe von New York kommen möchte. Das war damals weltweit der Nummer-Eins Ort für Paläo-Klimaforschung, also für die Rekonstruktion des Klimas früherer Zeiten – ein Superangebot. Und Broecker stellte zu jener Zeit die interessanten Hypothesen auf, dass sich die Ozeanströmung schnell verändern kann und dass dies der Grund für die abrupten Temperatursprünge in der Klimageschichte sei, die man in den grönländischen Eisbohrkernen gefunden hatte. Diese Veränderungen hat Broecker später als Dansgaard-Oeschger-Ereignisse bezeichnet.
Und, hat es funktioniert mit New York?
Ich war begeistert und dachte, ich hätte nun die nächste Stelle. Da meldete sich Wally Broecker nach ein paar Monaten wieder und erklärte, ich müsse zuerst einen Antrag für ein Forschungsprojekt zuhanden des US-Energieministeriums schreiben. Schliesslich wurde das Projekt bewilligt, und mein Salär war gesichert. Ich hätte nun vier Jahre in New York bleiben wollen, aber nach zwei Jahren kam das Telefon aus Bern …
Man hat ihnen nahegelegt, sich auf eine Professur zu bewerben?
Ja. Hans Oeschger hatte mir bereits ein Jahr zuvor das Inserat für seine Nachfolge geschickt und mich auf diese Stelle aufmerksam gemacht. Doch ich hatte mich nicht gemeldet, da ich ja bloss ein junger Postdoc war und nicht im Traum daran dachte, mich auf eine Stelle zu melden, die damals, 1992, die allereinzige Professur in der Schweiz war, die sich mit Klimawandel befasste. Und zwar Klimawandel im rezenten Zeitraum, das heisst die vergangen 100'000 Jahre und die Zukunft.
Und da hat man Sie ein bisschen gestupst?
Die Findungskommission der Universität Bern stand nach der ersten Runde wieder auf Feld eins, da ihr Wunschkandidat abgesagt hatte. Man hörte sich dann in der Community nach interessanten Kandidaten um, und ich hatte das grosse Glück, dass mein Chef in Lamont, Wally Broecker, fand, ich könnte meine Forschung doch in Bern weiterführen und mich empfohlen hat …
… und dann wurden Sie mit 34 Jahren tatsächlich gewählt …
… ja, und als ich hier in Bern ankam, hatte ich Knieschlottern und fragte ich mich, ob das wohl gut ginge. Ich war auf einen Schlag verantwortlich für eine Abteilung des Physikalischen Instituts mit 28 Personen, mit zum Teil langjähriger Erfahrung, die internationale Forschung gemacht hatten. Und nun kommt da so ein Jungspund aus Amerika und übernimmt die Leitung. Das hat nur dank der fantastischen Kollegen funktioniert, mit denen ich hier zusammenarbeiten durfte.