«Ich hatte in meiner Karriere immer zwei Standbeine»

7. Dezember 2020

Bettina Schaefli hat vor einem Jahr ihre neue Stelle als Professorin für Hydrologie an der Universität Bern angetreten. Im Interview spricht das OCCR-Mitglied über die Risiken möglicher Wasser- und Stromknappheit, über das Interesse der Praxis an ihren Resultaten und über den Stellenwert von Feldforschung.

Bettina Schaefli

Bettina Schaefli, Sie haben Pionierarbeit zu Modellierung von verfügbaren Wasserressourcen in den Alpen geleistet. Wie kam es dazu?

Ich bin gewissermassen reingerutscht. In meiner Doktorarbeit machte ich die erste Studie zum Thema Wasserkraft der Zukunft in den Schweizer Alpen. Es gab natürlich schon erste modellbasierte Ansätze, aber meine Studie war die erste, die auch Resultate von Klimamodellläufen berücksichtigte und versuchte, Unsicherheiten mit Blick auf die Wasserressourcen in den Alpen abzuschätzen. Ich bin Anfangs der 2000er Jahre in einer Zeit eingestiegen, als es gerade losging mit den Simulationen zu den Folgen des Klimawandels - mit Hilfe von verschiedenen Modellen und Szenarien. Das hat schliesslich auch meine Spezialisierung auf Langzeitvorhersagen für Wasserressourcen beeinflusst. Mein Fokus liegt dabei immer noch stark auf alpinen Ressourcen, aber ich habe auch diversifiziert. Eine gerade abgeschlossene Doktorarbeit zum Beispiel beschäftigte sich mit den Ressourcen im Einzugsgebiet des Flusses Volta in Afrika. Da stellen sich natürlich ganz andere Herausforderungen bei der Modellierung als in der Schweiz, wo wir eine gute Datengrundlage haben.

Die Schweiz wird in Zukunft mit saisonal und lokal begrenzter Wasserknappheit konfrontiert sein. Wie gut lassen sich solche Situationen modellieren?

Das wird einer meiner künftigen Forschungsschwerpunkte. Unter anderem interessiert mich, wie die technischen Bewässerungsmöglichkeiten, die man in der Landwirtschaft immer weiter ausgebaut hat, zu Wasserknappheit führen könnten. Da geht es um kleine Einzugsgebiete im Schweizer Mittelland. Diese Region wird von Wasserknappheit viel stärker betroffen sein als die Alpen – das wird noch zu interessanten Fragestellungen führen.

Sind solche kleinräumigen Klimafolgen schwieriger zu modellieren als grossräumige Veränderungen?

Es stellen sich ganz andere Herausforderungen an die Präzision. Solange wir uns in einem Einzugsgebiet in den Bergen bewegen, wo Niederschlag nur ungenau gemessen werden kann, ist auch ein Fehler von 20 Prozent noch akzeptabel. Gehen wir hingegen in Einzugsgebiete im Mittelland, die landwirtschaftlich genutzt werden, haben wir es mit ganz anderen Anforderungen zu tun. Bei den kleinräumigen Modellierungen wird einerseits das Runterskalieren von Klimamodellläufen schwieriger, doch andererseits sind im Mittelland die meteorologischen Bedingungen weniger heterogen als in den Alpen.

the Vallon de Nant

Sie haben von der Universität Lausanne aus, wo Sie SNF Assistenzprofessorin waren, in den Waadtländer Alpen über Jahre am selben Ort Feldforschung betrieben, werden Sie das auch weiterhin tun?

Ja, das habe ich vor. Die Idee ist, dass wir diese Messungen im Vallon de Nant weiterführen, aber auch ein geeignetes ähnliches Einzugsgebiet im Berner Oberland finden. In der Hydrologie sind Langzeitbeobachtungen essenziel. Schon fünf Jahre mehr oder weniger Daten sind sehr wertvoll. So gesehen ist es wichtig, dass wenige ausgewählte Einzugsgebiete beforscht werden, auch wenn sie nicht unbedingt in der Nähe liegen. Unser Gebiet im Kanton Waadt hat auch den Vorteil, dass dort viele andere Gruppen forschen. Ein interdisziplinär untersuchtes Einzugsgebiet, in dem zum Beispiel auch die Pflanzenökologie, die Geologie oder die Geomorphologie untersucht werden, ist für die Erforschung hydrologischer Prozesse ein Glücksfall. So etwas an einem neuen Ort aufzubauen, ist schwierig.

A group of researchers in the Vallon de Nant

Wie erleben Sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Oeschger-Zentrum?

Als Folge der Covid-Situation sind meine Kontakte im Moment noch eng auf das Geographische Institut beschränkt. Doch das Oeschger-Zentrum spielt für mich eine sehr wichtige Rolle, da ich als physische Geographin und Ingenieurin an der Uni Bern eigentlich wenig Kolleginnen und Kollegen habe. Im Vergleich zu anderen Unis sind die Geoumweltwissenschaften hier relativ klein. Umso wichtiger ist es da, dass durch das Oeschger-Zentrum Leute disziplinenübergreifend zusammenkommen. An anderen Unis wird eine wirklich fächerübergreifende Zusammenarbeit ja nicht erleichtert, das ist am hier ein Riesenvorteil. So richtig profitieren werde ich davon wohl erst in den kommenden Jahren. Doch ich habe vom Oeschger-Zentrum bereits eine Postdoc-Stelle zugesprochen erhalten.

Worum geht es dabei?

Wir untersuchen sogenannte Energy Droughts und wollen die Risiken quantifizieren, denen wir ausgesetzt sind, wenn in ganz Europa zu wenig Strom produziert würde. Es geht dabei um Kovariationen zwischen Wind, Wasser und Sonne. Kritisch könnte es typischerweise in einem kalten, trockenen Sommer werden, wenn es in der Schweiz wenig Wasser gibt und anderswo in Europa wenig Sonne und Wind. Dieses Projekt machen wir gemeinsam mit Kolleginnen vom Geographischen Institut und aus der Mathematik. Das ist meine erste offizielle Zusammenarbeit im Oeschger-Zentrum, weitere werden sich ergeben, sobald wir uns hoffentlich bald auch wieder persönlich treffen.

Grande Dixence lake

Ihre Forschung dreht sich um die Energieproduktion aus Wasserkraft. Es gab Zeiten, da waren die Kraftwerkbetreiber nicht brennend an Informationen zum Klimawandel interessiert. Hat sich das geändert?

Absolut, die Wasserkraftproduzenten – und nicht nur die grossen – sind heute sehr interessiert an Forschungsergebnissen. Die Universität Bern hatte ja schon eine sehr etablierte Zusammenarbeit mit den Kraftwerken Oberhasli, KWO, einem der grössten Wasserkraftproduzenten der Schweiz. Diese Zusammenarbeit werde ich weiterführen. Alle grossen Player sind sich bewusst, dass sie wissen müssen, wie es mit dem Wasser in Zukunft aussieht, um sich vorbereiten zu können. Neuerdings zeigt auch die Landwirtschaft sehr viel Interesse an der Forschung. Das hat mit den extremen Jahren zu tun, die wir in letzter Zeit erlebt haben. Es gab so viele extrem trockene Herbste und Sommer, dass niemand mehr die Folgen des Klimawandels leugnen kann.

Betreiben Sie mit Ihren Studien zur Energieproduktion bewusst auch angewandte Forschung?

Es war mir immer ein Anliegen, die Ergebnisse unserer Forschung möglichen Anwendern zugänglich zu machen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich während meiner Doktorarbeit ein Modell entwickelt habe, das im Kanton Wallis immer noch gebraucht wird – wenigstens Bausteine davon. Schon früh hat sich mit diesem Modellansatz auch eine Firma selbständig gemacht, deshalb war ich auch in meinem persönlichen Netzwerk immer um Wissenstransfer bemüht. Ich habe auch in Projekten auf Bundesebene wie der Schweizer Energiestrategie 2050 als Expertin für Hydrologie mitgearbeitet, dabei kommt mir zu Gute, dass ich ursprünglich eine Ingenieursausbildung habe. Deshalb versuche ich immer, nahe bei angewandten Ingenieursfragestellungen zu bleiben und zugleich auch die Grundlagenforschung, die Prozessforschung im Feld voranzutreiben. Ich hatte in meiner Karriere immer diese beiden Standbeine.