Vorwort von Thomas Stocker zum Interview mit Christian Pfister

Mein Kollege Christian Pfister ist ein Pionier: durch seine bahnbrechenden Arbeiten hat er den Anschluss der Klimageschichte an die quantitativen Klimawissenschaften hergestellt. Nicht durch blosses Geschichten erzählen (auch das kann er!), was der Ungebildete von Historikern erwarten würde, sondern mit Indizes, Zeitreihen, geographischer Verortung, und gespeichert im elektronischen Medium. So entsteht Interdisziplinarität, und Christian Pfister hat an der Universität Bern den Grundstein dazu gelegt. Klimaforschung beschränkt sich nicht nur auf Physik, Biologie und Geographie, sondern sie schliesst heute ganz selbstverständlich die Geschichts- und Sozialwissenschaften ein. Dass wir in Bern schon früh von dieser Erweiterung profitieren konnten, verdanken wir Christian Pfister.

Christian's Forschung gibt Grad Celsius, Meter, Kilogramm, und Millimeter pro Jahr ein Gesicht, denn sie zeichnet akribisch, Jahr für Jahr, oft sogar Jahreszeit für Jahreszeit, die Bedingungen nach, unter welchen die Menschen Witterung und Klima erlebten, wie sie damit umgegangen sind, und welche Schlüsse sie aus Extremereignissen zogen. Als Klimageschichte vermag sie einen zusätzlichen -- und wie man aus heutiger Sicht weiss -- unverzichtbaren Kontext für die Entwicklung der Gesellschaft herzustellen. Sie liefert auch Eckdaten für die "Paläometeorologie", also die Rekonstruktion von Witterungslagen bei Extremereignissen. Diese Forschung ist von höchster Aktualität, denn auch heute, in der in die Zukunft schauenden Klimaforschung, interessieren nicht allein Grad Celsius der Erwärmung, Meter des Meeresspiegelanstiegs, Kilogramm des schmelzenden Eises in den Alpen und den Polargebieten, und Millimeter pro Jahr Niederschlags­veränderung, sondern das Gesicht der Klimaerhitzung: die Auswirkung auf Mensch, Gesellschaft, und Natur. Da erweitert die Forschung von Christian Pfister unsere Perspektive, zeigt die Verwundbarkeiten von damals auf und lehrt uns, wie bereits kleinste Schwankungen, zum Beispiel die kleine Eiszeit, grösste soziale Auswirkungen haben. Die historischen Resultate, besonders betreffend Extremereignisse, sind wichtige Stützen für die Abschätzung von Risiken und ermöglichen die Erweiterung von Statistiken.

Christian ist ein Dauerläufer, sowohl in der Wissenschaft, wie auch im Sport. Das Ziel vor Augen, schnell unterwegs, und beim Einlauf schon vom nächsten Rennen sprechen. Gerade in den letzten Jahren, wo ein Klimarekord bereits vom nächsten überholt wird -- in der Schweiz haben wir gerade den trockensten Sommer seit 1864 erlebt -- mahnt uns Christian durch eine kurze, präzise Bemerkung "Aber im Jahr 15xy war ...", dass Extremereignisse zwar heute besorgniserregend häufig und zunehmend intensiver auftreten, aber eben nicht "nie dagewesenes Leid erzeugen", sondern auch in der Vergangenheit gravierende Konsequenzen hatten für Mensch und Gesellschaft. Die vielschichtigen Informationsquellen zum Klimawandel und seinen Auswirkungen bilden das fruchtbare Substrat, auf welchem das Oeschger Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern, zu welchem Christian Pfister viel beigetragen hat, blüht und wächst.

Prof. Thomas Stocker
Klima- und Umweltphysik, Physikalisches Institut der Universität Bern
Präsident Oeschger Zentrum für Klimaforschung