Zogen Hirten mit ihren Herden tatsächlich um 5'000 vor Christus aus dem Unterwallis ins Berner Oberland und weideten dort ihre Schafe? Vieles deutet daraufhin, dass diese These, die noch vor kurzem als Spekulation abgetan worden wäre, der Realität entsprach. «Wir haben starke Indizien, die dafür sprechen, dass die Menschen viel früher mit ihrem Vieh im Gebirge unterwegs waren, als man bisher angenommen hat», sagt Albert Hafner, Professor für prähistorische Archäologie an der Universität Bern.
Die Beweiskette, die diese Annahme stützt, haben Albert Hafner und Christoph Schwörer, Umweltwissenschafter und Spezialist für Vegetationsgeschichte am Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern, soeben in einem Artikel in der Fachzeitschrift «Quaternary International» geliefert. Beide Wissenschafter sind Mitglieder des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern. «Die Kombination der beiden Herangehensweisen», erklärt Albert Hafner, «hat es uns erlaubt, bessere Daten zu erheben und diese auch mit einem neuen Blickwinkel zu interpretieren. Im Alleingang wäre weder die Archäologie noch die Paläoökologie zu diesen neuen Erkenntnissen gekommen.»
Gemäss der Studie muss man sich die frühe Alpwirtschaft zwischen Wallis und Berner Oberland so vorstellen: Die Gegend um das heutige Sitten war um 5'000 vor Christus von Menschen besiedelt, die Ackerbau und Viehwirtschaft betrieben. Sie hielten unter anderem Schafe und Ziegen. Doch die steilen und trockenen Hängen des Unterwallis gaben nur wenig Futter her, weshalb die Hirten einen zweitägigen Fussmarsch bis in Berner Oberland auf sich nahmen, wo sie unterhalb des 2’756 Meter über Meer gelegenen Schnidejoch-Passes gute Weidemöglichkeiten fanden. Praktikabel war diese Wanderweidewirtschaft nur, da während des sogenannten holozänen Wärmemaximums die Gletscher stark zurückgegangen waren. Das Schnidejoch war während mehreren Jahrhunderten eisfrei.