Der IPCC-Vorsitzende sollte in erster Linie ein Wissenschaftler mit breitem Horizont sein

8. September 2015

Am 5. Oktober wählen im kroatischen Dubrovnik 195 Länder den neuen Vorsitzenden des Weltklimarats IPCC. Einer der fünf Kandidaten für diesen wichtigsten Klimajob der Welt ist Thomas Stocker, Professor für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern und Mitglied des Oeschger-Zentrums. Im Interview spricht er über seinen Wahlkampf und erläutert seine Pläne für die Zukunft des IPCC.

 

Thomas Stocker, Sie stehen mitten im Wahlkampf für den wichtigsten Job in der Klimaforschung. Fühlen Sie sich wie ein Präsidentschaftskandidat?

Nein, das kann man überhaupt nicht vergleichen. Was ich mache, ist nicht eine klassische Wahlkampagne, sondern eine Tour durch eine grosse Anzahl von Ländern, um mich als Person und als Wissenschaftler vorzustellen. Ich will dabei im persönlichem Kontakt die Prioritäten darlegen, die ich für die Zukunft des IPCC sehe. Ich will diese Vorschläge mit meinen Gesprächspartnern diskutieren und mir anhören, wie man in diesen Ländern denkt und welches ihre Anliegen sind. Ich lerne dabei viel über die Prioritäten dieser Länder im Bezug auf den Klimawandel.

Schliesslich aber wollen Sie von den Vertretern dieser Länder gewählt werden.

Natürlich. Ich habe die Absicht, diese Leute davon zu überzeugen, dass ich gestützt auf meine berufliche Erfahrung und meine bisherige 17-jährige Tätigkeit im IPCC – als Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe I seit 2008 war ich erfolgreich für einen Teil des letzten IPCC Berichts verantwortlich – ein Kandidat bin, dem man zutrauen kann, die Organisation gut durch die nächsten sieben Jahre zu führen.

Wen treffen Sie bei Ihren Besuchen?

Das kommt aufs Land an. In den meisten Ländern gibt es zwei Ministerien die ins Thema Klimawandel involviert sind: als technische Behörde das Umweltministerium, und dann auch das Aussenministerium, weil das IPCC Teil der UNO ist. Deshalb sehe ich hohe Beamte und vereinzelt Minister.

Ist es schwierig, Termine bei diesen Leuten zu erhalten?

Die Schweizer Botschaften vor Ort spielen eine zentrale Rolle. Sie stellen die Kontakte mit den relevanten Stellen her und organisieren die Zusammenkünfte. Wenn man in zehn Tagen sechs Länder bereist, lässt man den Leuten, die man gerne sehen möchte nicht eine grosse Wahl. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass praktisch alle Treffen wie gewünscht zustande gekommen sind.

Wie viele Länder haben Sie bis heute besucht?

Nach Abschluss meiner letzten Tour, die heute Abend* beginnt, werde ich 30 Länder bereist haben. Mit Vertretern von zehn weitern Ländern war ich telefonisch in Kontakt.

Haben Sie eigentlich Freude an dieser Kampagne, oder denken Sie manchmal: Hätte ich mich bloss nie um dieses Amt beworben!

Natürlich gibt es Momente, da wäre ich lieber im Institut oder bei meiner Familie. Aber diese Phase beschränkt sich ja auf vier, fünf Monate. Vor allem aber: Ich profitiere extrem viel von den Gesprächen, die ich führe. Es ist höchst lehrreich, mit den spezifischen Bedürfnissen und Ängsten dieser Länder konfrontiert zu sein – auch wenn es bloss für einen kurzen Moment ist.

Hat sich dadurch Ihr Blick auf die Folgen des Klimawandels verändert?

Ich war schon zuvor sehr gut informiert, aber mein Blickwinkel hat sich bestimmt erweitert. Ich habe nun zum Beispiel ein viel tieferes und direkteres Verständnis davon, vor welchen Herausforderungen Länder stehen, die einerseits ihre wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben wollen und andererseits Klimaschutz betreiben und mit den Folgen des Klimawandels fertig werden müssen.

Worin unterscheiden sich die fünf Kandidaten? Gibt es grosse inhaltliche Unterschiede bei ihren Plänen für die Zukunft des Weltklimarats?

Ich setze mich nicht detailliert mit dem Programm der anderen Kandidaten auseinander, sondern konzentriere mich auf meine Schwerpunkte. Diese habe ich allen Ländern vorgestellt – und darauf habe ich von den Entscheidungsträgern bisher ein ausgezeichnetes Echo erhalten.  Ich habe offenbar genau die Punkte getroffen, die auch ihnen ein grosses Anliegen sind.

Das wären?

Der erste betrifft die Kommunikation: Wir müssen im IPCC ein kontinuierliche Kommunikationsaktivität entwickeln. Kommunikation muss verständlich sein: Ich setze mich dafür ein, dass die „Headline Statements“, die wir in der Arbeitsgruppe I entwickelt haben– Aussagen wie: „Der menschliche Einfluss auf das Klimasystem ist klar.“ – zum Standard für alle IPCC Produkte werden.

Mein zweiter Schwerpunkt betrifft die wissenschaftliche Sorgfalt und die Belastbarkeit unserer Einschätzungen. Die gilt es beizubehalten und auszubauen in einer Zeit, wo der Klimawandel zunehmend politisch diskutiert wird. Und drittens muss das IPCC mehr regionale Klimainformationen erarbeiten, wenn wir auch in Zukunft Gewicht haben wollen. Lösungen für die Probleme des Klimawandels werden auf regionaler Ebene entwickelt. Zwar werden die Klimamodelle immer höher aufgelöst, aber diese Informationen müssen dann auch in Impaktstudien und Risikoanalysen einfliessen. Aus diesem Grund wünsche ich mir einen viel engeren Austausch unter den drei Arbeitsgruppen des IPCC, um regionale Informationen zu nutzen. Wir sind auch unbedingt darauf angewiesen, dass Wissenschaftler aus den Regionen, die vom Klimawandel besonders stark betroffen sind, im IPCC als Autoren und Lead-Autoren mitarbeiten.

Sie haben die Sorge geäussert, die besten Wissenschaftler könnten wegen der enormen Arbeitsbelastung nicht mehr länger im IPCC mitarbeiten.

Dieses Risiko existiert tatsächlich, doch ich hoffe, dass diese Bedenken durch eine effektive und begeisternde IPCC-Führung abgeschwächt werden können. Ich betrachte das IPCC als fantastische Organisation,  der es gelingt, die besten Wissenschaftler zusammenzuführen, um kritische Punkte, bei denen noch kein Konsens besteht, intensiv wissenschaftlich zu diskutieren. Diese Arbeitsweise ist für die Wissenschaftler sehr inspirierend. Meine Erfahrung der letzten sieben Jahre in der Arbeitsgruppe I zeigt, dass viele gemeinsame Forschungsprojekte und Publikationen ihren Anfang an Treffen der Lead-Autoren genommen haben, wo ausgiebig debattiert und argumentiert wurde - unter wissenschaftlichen Konkurrenten, die man zusammengenbrachte hatte, um am selben, gemeinsamen Erzeugnis zu arbeiten.

Sollten Schweizer Forscher vermehrt im IPCC mitarbeiten?

Ich finde, in der Arbeitsgruppe I war das Engagement der Schweiz ausgezeichnet. Die Universität Bern etwa war im IPCC seit Beginn und über alle fünf Assessment-Perioden in führenden Positionen vertreten. In der Arbeitsgruppe II sieht es etwas dünner aus. Und in der Arbeitsgruppe III war die Schweiz praktisch nicht präsent. Ich sehe das als verpasste Chance, und ich wünsche mir, Forscher zum Beispiel aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften würden künftig eine viel aktivere Rolle spielen. Know-how vor Ort zu haben, das durch das Engagement im IPCC mit dem internationalen Diskurs entsteht, ist auch für die Schweiz von grösster Bedeutung.

Sehen Sie die Rolle des IPCC-Vorsitzenden nur als eine wissenschaftliche oder auch als eine politische?

Die Rolle des Vorsitzenden ist nicht in dem Sinn politisch, dass er an politischen Entscheidungen beteiligt wäre oder sie beeinflussen würde. Ganz unabhängig davon, wer an seine Spitze gewählt wird, wünsche ich dem IPCC, dass es in der Lage sein wird, seine Position als führende Lieferantin von robuster wissenschaftlicher Information beizubehalten und dass es ihm gelingt, sich trotz politischer Relevanz seiner Arbeit aus dem eigentlichen politischen Prozess herauszuhalten.

Aber die Wahl des IPCC-Vorsitzenden ist eine hochpolitische Angelegenheit...

...sie beinhaltet gewisse politische Überlegungen, die von den Ländern gemacht werden. Aber ich denke, der wissenschaftliche Aspekt muss von zentraler Bedeutung bleiben, um die Glaubwürdigkeit der Organisation als Ganzes sicherzustellen. Das IPCC handelt im Auftrag der Regierungen und der Vorsitzende vertritt die Wissenschaftsgemeinde, die den politischen Entscheidungsträgern Informationen liefert. Kerngeschäft ist und bleibt die wissenschaftliche Beurteilung des Klimawandels, seiner Auswirkungen und der Handlungsoptionen, um dem Wandel zu begegnen. Wenn sich die Kompetenz der Tausenden von Wissenschaftlern, die unbezahlt am nächsten IPCC-Bericht mitarbeiten, nicht an der Spitze der Organisation wiederspiegelt, befürchte ich, dass dies letztlich ihre Glaubwürdigkeit und Autorität bedroht.

Heisst das, die Staaten sollten den besten Wissenschaftler zum nächsten IPCC-Vorsitzenden wählen?

Ich erteilte den Staaten keine Ratschläge. Ich drücke lediglich meine persönliche Meinung darüber aus, welches Profil diejenige Person haben sollte, der die Führung des IPCC anvertraut wird. Ich bin überzeugt, dass der IPCC-Vorsitzende in erster Linie ein Wissenschaftler mit breitem Horizont sein sollte. Er braucht gute Kommunikationsfähigkeiten, er muss zuhören können, und er muss die Organisation durch Motivation, gutes Beispiel und effizientes und pragmatisches Management führen und voranbringen.

Wie gross sehen Sie Ihre Chancen, gewählt zu werden?

Ich bin realistisch: Die Ausgangslage ist sehr kompetitiv, und es sind einige Länder involviert, die international über eine grosse Hebelkraft verfügen. Die Schweiz hingegen ist ein kleines Land, wir sind nicht Mitglied eines Blocks, wir sind neutral. Aber gerade deswegen haben wir auch eine lange Tradition des Engagements auf höchster Ebene in internationalen Organisationen. Als Schweizer sind wir imprägniert mit dem Willen,  in Situationen, in denen entgegengesetzte Ansichten aufeinanderstossen, einen Konsens zu finden.  Das ist die Schweizer Art voranzukommen und Lösungen zu finden. So gesehen, betrachte ich meine Chancen als durchaus intakt.


Persönliche Webseite von Thomas Stocker

* Das Interview wurde am 31. August in Bern geführt.