Tiefe Blicke ins Zentrum von Hagelstürmen

4. Juli 2014

Der vom Mobiliar Lab für Naturrisiken organisierte erste europäische Hagelworkshop stiess auf unerwartet grosses Interesse. Mehr als hundert Vertreter aus Wissenschaft, Versicherungswirtschaft und von nationalen Wetterdiensten tauschten vom 25. bis 27. Juni in Bern Ideen aus und diskutierten ungelöste Fragen über das Zustandekommen und die Vorhersage von Hagelstürmen. Das 2013 gegründete Mobiliar Lab ist eine gemeinsame Froschungseinrichtung des Oeschger-Zentrums und der Mobiliar Versicherung.

 

Die Situation ist paradox. Hagel gehört zu den Naturgefahren, die in vielen Teilen Europas und darüber hinaus für die grösste Schadenssummen verantwortlich sind, doch der wissenschaftliche Austausch über das kostspielige Phänomen hielt sich bisher in engen Grenzen. „Es gab bis heute weltweit wohl keine einzige wissenschaftliche Veranstaltung, die sich ausschliesslich mit Hagel befasste“, sagt Olivia Romppainen, eine der Organisatorinnen des „1st European Hail Workshop” vom Oeschger-Zentrum und Mobiliar Lab. Umso erfreulicher also der Grossaufmarsch der Hagelspezialisten in Bern: Von Spanien über England, Deutschland und Belgien bis zu Polen, Bulgarien und Griechenland reisten Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa an. Aber auch der kanadische und der US-Wetterdienst beteiligten sich am Wissensaustausch.

Thematisch war der Workshop bewusst möglichst breit gefächert. Die Vorträge und Diskussionen drehten sich sowohl um die Mikrophysik von Hagelstürmen wie um die Herausforderungen für die Versicherungswirtschaft und das sogenannte Nowcasting, Warnungen vor Hagelereignissen in einem Zeitraum von einigen Minuten bis zu einigen Stunden. „Das Treffen bot einen ausgezeichneten Überblick über die verschiedenen Aspekte der Hagel-Thematik“, bilanziert Olivia Romppainen. Nicht zuletzt gewährten auch verschiedene Versicherungsgesellschaften einen Blick hinter ihre Kulissen und zeigten, mit welchen Modelierungsmethoden es ihnen gelingt, den Risikofaktor „Hagel“ versicherungsmathematisch in den Griff zu bekommen.

Bei der Prävention übrigens halten sich die Versicherungen an eine Faustregel, die sie ihrer Kundschaft allerdings nur mit Mühe beliebt machen können: Bei Hagel Storen nicht etwa runterdrehen, sondern oben lassen. Grund: Fenster nehmen nur selten Schaden und wenn, dann wird es für die Versicherungen viel weniger so teuer, als beim Ersatz der vom Hagel zerbeulten Storen.

Storen kosten mehr als Fenster

Ein anderer Vortragsblock war den Hagelklimatologien gewidmet. Dabei zeigte sich, dass die Wetterdienste praktisch aller Länder Daten über Häufigkeit und Ausmass von Hagelstürmen sammeln und sich dabei auf Radarmessungen und Bodenbeobachtungen stützen – alle mit denselben Techniken und Problemen. Die Datenreihen beschränken sich aber jeweils auf das eigene Territorium. Warum die Hagelklimatologien eigentlich immer an den Landesgrenzen halt machten, wollte denn auch ein Workshop-Teilnehmer wissen. „Eine berechtigte Frage“, findet Olivia Romppainen, „an einem nächsten Workshop könnten wir versuchen, hier Besserung zu schaffen.“ Grund für die nationale Sichtweise sieht die Assistenzprofessorin für Klimarisiken an der Universität Bern nicht zuletzt bei den riesigen Datenmengen, die hochaufgelöste Hagelstatistiken beinhalten.

Bessere Hagelprognosen für die Landwirtschaft

Gross war das Interesse sowohl von Forschern wie Vertretern aus der Praxis auch an Vorträgen zum „Nowcasting“. Die heute üblichen Warnungen, im besten Fall ein bis zwei Stunden vor Niedergang des Hagels, häufig aber auch bloss einige Minuten zuvor, mögen dazu ausreichen, Autos in Sicherheit zu bringen, aber für die Bedürfnisse zum Beispiel der Landwirtschaft reichen sie nicht aus. Hier sind deutliche Fortschritte bei den Prognosemodellen nötig. Weltweit werde zur Zeit bei vielen Wetterdiensten an solchen Verbesserungen gearbeitet, so Olivia Romppainen. „Noch fehlt es den Modellen aber an expliziten Abbildungsmöglichkeiten für Hagel, die dazu nötigen Mikrophysik-Schemen werden erst getestet.“

An Diskussionsstoff für einen nächsten Europäischen Hagelworkshop fehlt es also nicht – nicht nur bei den Hagelwarnungen. An ein grosses Thema nämlich hat sich die Forschung bisher noch kaum herangewagt: Klimawandel und Hagel. „Wir haben die Thematik erst ganz am Rand diskutiert“, erklärt Workshop-Organisatorin Romppainen, “da ist der Forschungsbedarf noch riesig .“