"Die Klimawissenschaft darf nicht glauben, sie müsse im Auftrag der Politik forschen"

19. Februar 2014

Hans von Storch war der Referent der ersten Mobilar Lab Lecture an der Universität Bern. In einem Interview äussert sich die Politologin Karin Ingold zu den Thesen des prominenten deutschen Klimaforschers. Sie ist Assistenzprofessorin an der Universität Bern und Mitglied des Oeschger-Zentrums sowie der Eawag. Karin Ingold hat ihre Doktorarbeit über die Analyse von Entscheidungsmechanismen in der Schweizer Klimapolitik geschrieben und befasst sich heute unter anderem mit Analyse und Design von Politikprozessen und Instrumenten.

In seinem Buch "Die Klimafalle" warnt Hans von Storch vor der gefährlichen Nähe zwischen Klimaforschung und Politik. Diese wirke sich negativ auf die Qualität der Wissenschaft aus. Teilen Sie diese Ansicht?

 

Ich würde nicht von gefährlicher Nähe sprechen, und prinzipiell ist wissenschaftlich fundiertes politisches Entscheiden nichts Schlechtes. Das Problem ist, dass beide Sphären – die politische und die wissenschaftliche &ndash nach zwei komplett unterschiedlichen Logiken funktionieren. Die Treiber des politischen Systems sind immer noch Macht und Kompetenzen über politische Entscheide. Ziel der Politik ist es, Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden. Die Forschung hingegen funktioniert nach den Regeln der wissenschaftlichen Freiheit und der Begutachtung durch Fachkollegen. Wissenschaftliche Innovation entsteht somit weitgehend unabhängig von politischen, wirtschaftlichen oder anderen Sphären. Von Storchs Kritik ist nachvollziehbar, wenn wissenschaftliche Freiheit durch politische Anforderungen beschnitten oder gar aufgehoben wird. Die Produktion unabhängiger wissenschaftlicher Ideen und Lösungen durch die Klimaforschung scheint bei grosser Abhängigkeit oder zu hohen Anforderung der Politik tatsächlich gefährdet.

Hans von Storch bezieht sich in seiner Kritik nicht direkt auf die Schweiz. Stellen Sie auch hier eine problematische Nähe von Klimaforschung und Politik fest, oder sind die Schweizer Verhältnisse anders?

Die Schweizer Verhältnisse sind durchaus etwas anders. Die meisten Verbindungen bestehen zwischen der Wissenschaft und der Verwaltung, und nicht direkt mit dem politischen System. Die Verwaltung hat zum Ziel, Programme, Massnahmen und Strategien stark auf wissenschaftliche Evidenz abzustützen - vor allem bei der Klimaanpassung. Speziell ist in der Schweiz auch das konsultative Organ zu Klimafragen (OcCC), das eine Art Informationsplattform darstellt zwischen Wissenschaft, Parlament und Regierung. Das OcCC nimmt sozusagen eine Puffer-Rolle ein. Es garantiert, dass klimarelevante Erkenntnisse aus der Schweizer Forschungslandschaft in politische Entscheide einfliessen. Es verhindert dass die Forschung nur noch politikrelevante Resultate produziert und es wacht auch über Einschränkungen der wissenschaftlichen Freiheit.

Wie sehen Sie die Rolle der Klimaforschenden in der Öffentlichkeit. Sollen sich Wissenschaftler in die politische Diskussion einbringen?

Für eine Politikwissenschaftlerin ist das eine heikle Frage. Sehr oft unterstellt man meinem eigenen Forschungsgebiet die Nähe zur Politik. In der Politologie beobachten und erklären wir politische Prozesse und Entscheide, versuchen uns aber bewusst von unserem Forschungsobjekt zu distanzieren. Als Politologen möchten wir nicht als Politikberater, und noch weniger als Politiker gesehen werden – ein Biologe wird ja auch nicht zum Virus. Bei anderen Disziplinen mag dies weniger heikel sein. Doch grundsätzlich ist wissenschaftlich fundiertes politisches Entscheiden erwünscht. Dies setzt aber voraus, dass die Richtung der Information klar ist: von der Wissenschaft in die Politik und nicht umgekehrt. Problematisch wird es erst, wenn die Wissenschaft findet, sie müsse im Auftrag der Politik forschen. Das ist, was von Storch als Risiko für die wissenschaftliche Qualität ansieht.

Und wie steht es mit der öffentlichen Diskussion mit Klimaskeptikern. Sollen Forscher mit Skeptikern am Fernsehen die Klingen kreuzen?

Die Wissenschaft ist an Dialog immer dann interessiert, wenn er Potential für neue Erkenntnisse schafft. Klimaskeptiker sind in der Regel keine Wissenschaftler, und der Dialog mit ihnen bietet meines Erachtens wenig Potential für Innovation, deshalb rate ich davon ab.

Auch weil man Klimaskeptikern so zu einer Plattform verhilft? Allein die Tatsache, dass Forschende mit Skeptikern auf Augenhöhe diskutieren, verschaffen ihnen doch Legitimität...

...die Bedeutung einer Gruppe oder Person wächst erst, wenn man sich mit ihr austauscht. Ignorieren ist wirkungsvoller als kritisieren.

Viele Leute haben das Gefühl, es gehe darum, sich anhand ebenbürtiger Argumente eine eigene Meinung zum Klimawandel zu machen. Ist das nicht problematisch?

Die Frage ist, was Klimamitigation und –anpassung für jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin konkret bedeuten. Beide Strategien erfordern persönliche Verhaltensänderungen, die sich auch auf Lebensqualität und –standard auswirken können. Es besteht deshalb die Gefahr, dass Bürgerinnen und Bürger den Argumenten der Klimaskeptiker aus eigennützigen Motiven Gehör schenken: Wäre der Klimawandel nicht menschgemacht, brauchte es ja auch keine Veränderung des persönlichen Verhaltens.

Mobiliar Lab