Von Extremereignissen lernen

23. September 2021

Die traditionelle Herbstveranstaltung des Mobiliar Labs für Naturrisiken fand für einmal nicht in einem Vorlesungssaal statt, sondern am Schauplatz eines Extremereignis, im Zentrum von Zofingen, das 2017 durch einen sintflutartigen Gewitterregen stark beschädigt wurde.

Der SMS-Wetteralarm klang nicht besonders dramatisch: «Gewitter mit Hagelgefahr/Sturmböen – Aarau/ Lenzburg – Lamellenstoren hochziehen.» Ein solcher Alarm der Stufe 2 wie am 8. Juli 2017 wird pro Jahr rund 20 Mal ausgelöst. Doch ein paar Stunden später war klar: Es ging für die Bewohner der Region nicht darum, Hagelschäden an den Storen zu vermeiden, sondern sich vor plötzlich auftretenden Wassermassen in Sicherheit zu bringen. Über das Aargauer Städtchen Zofingen zog kein Sturm der Stufe 2 auf, sondern «das wohl schlimmste Unwetter, welches die Region in den letzten hundert Jahren erlebt hat», wie die Behörden später vermelden sollten.

Gemäss dem «Aargauer Tagblatt» gingen bei der kantonalen Gebäudeversicherung über 5000 Schadenmeldungen ein, die Schadensumme betrug rund 90 Millionen Franken. Zusammen mit den Schäden, die bei privaten Versicherungen gemeldet wurden, betrug die Summe rund 150 Millionen Franken.

Vier Jahre nach diesem Ereignis wollte die Herbstveranstaltung des Mobiliar Labs vom 14. September aufzeigen, wie man in Zofingen mit den Folgen der Extremniederschläge umgegangen ist – innerhalb von 24 Stunden fielen bis zu 100 Millimeter Regen. Titel der Veranstaltung: «Auf den Spuren des extremen Starkregens in Zofingen – vom Ereignis zu den Massnahmen». Ihr Ziel: Ein Erfahrungsaustausch sowohl bei der Bewältigung der Unwetterschäden wie bei der Aufarbeitung des Jahrhundertereignisses mit Blick auf die Zukunft.

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Referenten aus Wissenschaft und Praxis

Die Veranstaltung stiess bei Fachleuten aus unterschiedlichen Branchen auf grosses Interesse. Unter den rund 40 Teilnehmenden fanden sich Mitarbeitende von Ingenieurbüros, von kantonalen Wasserbaufachstellen, von Bundesämtern sowie von Gebäude- und Privatversicherungen. Als Referentinnen und Exkursionsleiter traten auf: Olivia Romppainen und Andreas Zischg vom Mobiliar Lab sowie der Zofinger Feuerwehrkommandant Reto Graber und Stadtrat Andreas Rüegger.

Im Lauf der Veranstaltung wurden vor allem zwei Tatsachen klar: Als Folge des Klimawandels werden extreme Niederschläge, wie sie Zofingen erlebt hat, häufiger. Und: Durch geeignete Massnahmen kann sich eine Gemeinde auf solche Ereignisse vorbereiten.

Ein grosses Problem beim Jahrhundertgewitter in Zofingen war, wie eine Analyse des Ereignisses zeigte, unter andrem der Oberflächenabfluss. Die enormen Wassermengen führten einerseits in zahlreichen Gebäuden zu einem Kanalisationsrückstau. Andererseits gelang das anfallende Wasser vielerorts aufgrund von durch Hagel und Blätter verstopfte Einlaufschächte gar nicht erst in die Kanalisation und drang oberflächlich in Gebäude ein. Zu den Empfehlungen von Experten, die im Nachgang des Ereignisses erarbeitet wurden, zählen Massnahmen wie Rückhaltemöglichkeiten, kleine Anpassungen an Strassen, Einlaufschächte und Rechen, aber auch die Entsiegelung von Strassenflächen. Zudem sollten Strasseneinlaufschächte und Bachdurchlässe freigehalten werden.

Allzu wenig Objektschutzmassnahmen umgesetzt

Die Stadt Zofingen hat ihre Lehren aus dem Extremereignis vom 8. Juli 2017 gezogen und bereits zahlreiche der empfohlenen Massnahmen umgesetzt. Noch allzu wenig aktiv geworden sind allerdings Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer. Nicht nur in Zofingen könnten Private beim Hochwasserschutz weit mehr tun. Nach Angaben des Mobiliar Labs verfügen erst rund 11 Prozent der Gebäude in der Schweiz über Objektschutzmassnahmen.

An der Schlussdiskussion der Veranstaltung wurde unter anderem ein Aspekt diskutiert, der in Zusammenhang mit Hochwassern noch kaum ein Thema ist: Die Auswirkungen auf die Mobilität. Andreas Zischg vom Mobiliar Lab erklärte, dass von Extremereignissen häufig nicht nur Gebäude, sondern auch die Verkehrsinfrastruktur betroffen sei. In Zofingen zum Beispiel wurde die Stadt aufgrund der Überflutung in zwei Bereiche aufgeteilt. Um von einem Teil in den anderen zu gelangen, mussten die Menschen lange Umwege in Kauf nehmen – mit entsprechendem zeitlichem Mehraufwand und Verlust an Arbeitszeit. Viele Zofinger und Zofingerinnen konnten deshalb wohl der Versuchung nicht widerstehen, eine praktische, aber höchst gefährliche Abkürzung einzuschlagen: eine Kletterpartie über die Geleise der SBB. 
Zusätzliche Informationen zur Veranstaltung.